Embodiment – Wie Kopf und Körper zusammenpassen

6 einfache Embodiment-Übungen für mehr Körperbewusstsein im Alltag

Vom Einfluss der Psyche auf den Körper und umgekehrt

Das Wissen aus der Embodiment-Forschung für den Alltag zu nutzen, macht das Leben in vieler Hinsicht leichter. Denn wir haben nicht unseren Körper, wir sind unser Körper.

Die Teilnahme an einem Workshop „Einführung in die Tanztherapie“ in einem Münchner Ballettstudio vor ziemlich vielen Jahren – ich war 21 – war die Initialzündung, meinem Studium und meinem Leben eine neue Richtung zu geben.
Neben meinem Studium (Pädagogik, Psychologie und Theaterwissenschaften) nahm ich damals regelmäßig Tanzunterricht und in der „Tanztherapie“ schien irgendwie beides zusammen zu kommen. Während des Workshops spürte ich in der Tanzimprovisation zum ersten Mal „am eigenen Leib“, wie wirksam, ja sogar heilsam tanzen sein konnte. Die Bewegungen waren frei von vorgegebenen und genormten Exercises, sie kamen aus dem Moment und entwickelten sich im Bewegungsfluss und sprudelten nur so aus mir heraus. Zunächst war ich allerdings ziemlich gehemmt – wer will sich schon vor fremden Menschen so offen zeigen – aber nach und nach wich die Unsicherheit dem Spaß an der Bewegung, am Experiment, am Körperausdruck. Klar, dass hier jede Menge Endorphine im Spiel waren, aber das Gefühl beim Tanzen war völlig anders als beim normalen Training: Eine schwer zu fassende, tiefe Befriedigung trug mich wochenlang, wie auf Wolken. Ausgelöst durch die Gemengelage aus einem Gefühl von Freiheit und Authentizität, von Loslassen der Kontrolle (wir tanzten ohne Spiegel), dem zwanglosen sein zu dürfen, wie ich war und obendrein ohne Worte kommunizieren zu können. Wow! Noch heute bekomme ich Herzklopfen, wenn ich daran denke.
Ich hatte noch keine Ahnung, dass ich Embodiment erlebt und erfahren hatte, dass ich eine ersten Tanztherapeutinnen in Deutschland werden würde und das Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele meine Mission werden sollte. Ich wusste damals nur, dass ich genau dieses Gefühl unbedingt auch anderen Menschen vermitteln wollte.

Am Ende dieses Blog-Artikels schaue ich auf besonders bewegende berufliche Erfahrungen mit Embodiment als Tanztherapeutin und Pädagogin zurück.

Meine persönlichen Erlebnisse und Erkenntnisse brauchten jedenfalls ziemlich lange, um auch in der Wissenschaft Interesse und Anerkennung zu finden. War damals der Körper in der Therapie noch ziemlich „pfui“ oder „eso“, gilt es heute als Kunstfehler, die körperliche Dimension nicht mit in den therapeutischen oder beratenden Kontext einzubeziehen.

Nun also zu den Fakten:

Was ist Embodiment?

Embodiment wird mit „Verkörperung“ übersetzt. Die einschlägige Forschung geht davon aus, dass Denken, Verstand und die Psyche immer in einer Verbindung zum Körper stehen. Geist und Körper sind dabei in die umgebende Umwelt eingebettet. So nimmt unser Körper großen Einfluss auf unser Fühlen, Denken und Handeln, denn jede Botschaft aus der Umwelt wird zunächst über den Körper wahrgenommen und nicht mit dem Kopf, wie lange behauptet wurde. Die Kognitions- und Neurowissenschaften gehen im Embodiment-Ansatz also davon aus, dass alle psychologischen Prozesse durch die Sinnessysteme (sensorische Systeme), Bewegungssysteme (motorische Systeme) und Emotionen beeinflusst werden. Alles, was wir erleben und erfahren wird nicht nur zentral im Großhirn, sondern im gesamten Körper wahrgenommen und gespeichert.

Wolfgang Tschacher, einer der Mitbegründer der Embodiment-Theorie, formuliert folgende Definition:

„Unter Embodiment … verstehen wir, dass der Geist, (also Verstand, Denken, das kognitive System, die Psyche) mitsamt seinem Organ, dem Gehirn, immer in Bezug zum gesamten Körper steht.“
(in: Storch M, Cantieni B, Hüther G, Tschacher W. Embodiment. Die Wechselwirkung von Körper und Psyche verstehen und nutzen. Hogrefe, 2017)

Embodiment weist demnach auf einen wechselseitigen Zusammenhang hin. Lange Zeit wurde davon ausgegangen, dass psychisches Erleben Körpergeschehen hervorbringt (… Weil ich gute Laune habe, bewege ich mich ganz beschwingt.). Die Embodiment-Forschung spricht dabei von somatischen Markern, die sich nonverbal über Körperausdruck, Körperhaltung, Bewegung, Gestik, Mimik und dem Muskeltonus im Körper zeigen. Es zeigen sich aber auch Wirkungen in der umgekehrten Richtung, also dass der Körperzustand Einfluss auf die Psyche nimmt (… Weil ich mich gut aufrichte, verändere ich meine Stimmung positiv.).
Zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen diese reziproke Beziehung zwischen Körper und Emotion.

Der Körper kann also sowohl Emotionen ausdrücken, als auch durch Manipulation von z.B. Mimik oder Körperhaltung Emotionen hervorrufen oder zumindest beeinflussen. Das heißt: Mit einer Veränderung des körperlichen Zustands kann die Psyche in eine andere Verfassung gebracht werden.

Charly Brown, der Melancholiker von den Peanuts veranschaulicht Embodiment folgendermaßen:

Vierteiliger Peanuts-Comicstrip. Bild 1: Charlie Brown steht gebeugt neben einer aufrecht stehenden Peppermint Patty, in der Sprechblase steht „Das ist meine ‚depressive Haltung‘“. Bild 2: Peppermint Patty sieht Charlie Brown an, in der Sprechblase steht „Wenn man depressiv ist, macht es einen großen Unterschied, wie man steht ...“. Panel 3: Peppermint Patty schaut zu, Charlie Brown schaut mit hoch erhobenem Kopf auf, in der Sprechblase steht: „Das Schlimmste, was du tun kannst, ist, dich aufzurichten und den Kopf hoch zu halten, denn dann fängst du an, dich besser zu fühlen ...“. Panel 4: Peppermint Patty beobachtet Charlie Brown, in der Sprechblase steht: „Wenn du Freude daran haben willst, deprimiert zu sein, musst du so stehen ...“, wobei Charlie Brown sich wieder nach vorne beugt.

Aus Sicht des Embodiment ist der „Körper“ nicht als Objekt gemeint (wie in der aktuellen Tendenz zur Selbstoptimierung und Ausbeutung des Körpers), sondern als ein erlebender Teil des Selbst im ständigen Austausch mit Geist, Psyche und Umwelt.

In meiner Abschlussarbeit am Institut für Wohn- und Architekturpsychologie – siehe auf dieser Website unter „Publikationen“ – wird das Konzept des Embodiment detailliert vorgestellt. Einerseits um zu zeigen, wie die WAP in (meine) körperbezogene Arbeit integriert wird und andererseits, um die Methoden der WAP mit dem Konzept Embodiment zu ergänzen, damit das Wohnumfeld ein stimmiger, authentischer und nachhaltiger Ort für Leib und Seele wird.

Wie kann uns Embodiment im Alltag unterstützen?

Wir können

  • das Wissen nutzen, um unsere Stimmung aufzuhellen
  • in den gegenwärtigen Moment zurückkehren, uns spüren und fühlen statt in Denkmustern gefangen zu sein
  • uns beruhigen und mehr Boden spüren bei Angst und Stress
  • ein vertieftes Körperwissen und -bewusstsein erfahren
  • uns gut aufrichten und so an Ausstrahlung und Schönheit gewinnen
  • unsere Reaktion und Resonanz auf andere Menschen klarer spüren.

Für ein besseres Körperbewusstsein im Alltag:
6 Einfache Embodiment-Übungen

1. Bewusst atmen:

Finden Sie einen guten Platz zum Sitzen oder Liegen und nehmen Sie sich ein wenig Zeit. Schließen Sie die Augen schließen, sitzen oder liegen Sie entspannt und atmen Sie 10 mal bewusst und langsam ein und aus. Ein langer Ausatem erhöht den entspannenden Aspekt.
www.dkv.com/gesundheit-themenwelt-besser-atmen-warum-richtiges-atmen-fuer-ihr-wohlbefinden-so-wichtig-ist.html

2. Singen, summen, pfeifen, tanzen:

Spüren Sie beim Singen und Summen die Resonanz in Ihrem Körper, insbesondere im Oberkörper, Bauch und Kopf. Pfeifen Sie vor sich hin bei alltäglichen Tätigkeiten oder beim Gehen.
Beim Summen (min. 10 Minuten) werden physiologische Prozesse im Körper aktiviert, die zu einer Beruhigung des Nervensystems, zu einer Senkung des Blutdrucks und einer Verbesserung der Stimmung führen können.
www.vagus.net
Die positive Wirkung von Tanz ist inzwischen hinreichend beschrieben worden. Deshalb: Erlauben Sie sich, aus der Reihe zu tanzen, Ihre ganz persönlichen Lieblingsbewegungen zu erforschen, sich zu drehen, zu hüpfen und zu springen (falls möglich). Wählen Sie die Musik aus, die für diesen Moment stimmt, schwingen Sie in der Musik mit (besonders beim ¾-Takt), schütteln Sie sich, stampfen Sie, schweben Sie.
https://www.aok.de/pk/magazin/sport/fitness/tanzen-macht-gesund-und-gluecklich/
https://www.btd-tanztherapie.de/index.php?cid=347&pid=347
https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/psychiatrie-psychosomatik-psychotherapie/news-archiv/artikel/tanzen-gegen-den-stress/
https://nationalgeographic.de/wissenschaft/2024/06/psychologie-auf-dem-dancefloor-wer-tanzt-ist-weniger-neurotisch
… und viele andere mehr

3. Aufrichten:

Beginnt bei den Füßen! Nehmen Sie sich etwas Zeit und suchen Sie einen ruhigen Platz auf. Spüren Sie beide Füße mit gutem Bodenkontakt. Die Knie nicht durchdrücken, das Becken aufrichten, die Wirbelsäule lang fühlen- Dehnen Sie sich ganz in der Länge aus, lassen Sie die Schultern sinken, heben Sie das Brustbein, heben Sie ihre Mundwinkel leicht an (lächeln) und atmen Sie ruhig. Spüren Sie der Wirkung ihrer Aufrichtung nach.

4. So tun als ob:

„Fake it till you make it“ kann eine Erste-Hilfe-Maßnahme sein, denn eine Modifikation der Aufrichtung/Haltung kann das Selbstwertgefühl positiv beeinflussen. Beispielsweise ein stabiler, hüftweiter Stand, eine offene Haltung des Körpers, lächeln, direkter Blickkontakt mit dem Gegenüber verändern die Selbstwahrnehmung, aber auch, wie Sie gesehen werden.
Aber Achtung: Echtes Selbstwertgefühl kommt von innen!

5. Achtsam sein:

Braucht wenig Zeit, aber viel Konzentration: Machen Sie sich täglich immer mal wieder den Körper und die Atmung bewusst, z.B. mit einem mental durchgeführten Body-Scan – am besten mit geschlossenen Augen. Dabei den ganzen Körper von oben bis unten achtsam und urteilsfrei wahrnehmen/scannen. Nehmen Sie wahr, was ist, OHNE zu bewerten und zu urteilen! Hierbei wird uns nicht nur der Körper bewusst, sondern oft auch die automatisierten (Vor-)Urteile über unseren Körper.
https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/psychologie/achtsamkeit/pwieachtsamkeitindermedizin100.html
https://www.deutschesportakademie.de/blog/achtsamkeit-werkzeug-bei-ueberforderung

6. Jemanden umarmen:

Tut immer gut.
https://www.br.de/nachrichten/wissen/weltknuddeltag-kuscheln-warum-uns-koerperliche-naehe-guttut,Ro6eqAD
… und viele mehr

Last but not least ist Yoga, so wie ich es unterrichte, als langsam fließendes Embodiment-Yoga, ein eingängiger und nachhaltiger Weg, sich mit dem eigenen Körper vertraut zu machen und sich bewusst zu erleben.

Inzwischen sind all diese wichtigen Erkenntnisse auch in der Psychotherapie, in der Beratung, im Coaching und in der Pädagogik angekommen. Das war ein jahrzehntelanger Weg. Intuitiv wusste ich es seit meinen ersten Erlebnissen mit kreativem Tanz und Tanz-Improvisation im Ballettstudio vor vielen Jahren. Die Mühlen der Wissenschaft aber mahlen langsamer. Meine andauernde Begeisterung und Freude an der Arbeit mit und im Körper und die wertvollen Begegnungen auf dem Weg sind es allemal wert.

Wie oft durfte ich Zeugin sein von Tränen der Rührung und des inneren Bewegtseins, wenn Menschen – oft zum ersten Mal in ihrem Leben – ihren Körper nicht funktional, sondern aus sich heraus in ihrer individuellen EigenArt bewegten. Wenn sie sich die Erlaubnis gaben, sich unkonventionell und frei im Tanz auszuprobieren. Diese Erlebnisse berühren mich tief und bereiten den Weg für vertrauensvolle Verbindungen.
So fühlt man sich lebendig.

Sollten Sie dieses positive Lebensgefühl vermissen, können ein paar Stunden Mentoring oder Yoga Ihnen im wahrsten Sinne „auf die Sprünge“ helfen.
Der erste Kontakt ist das Schwierigste am ganzen Prozess und die Initiative geht von Ihnen aus. Ich verspreche Ihnen, Sie freundlich, offen und empathisch zu empfangen, um mit Ihnen und in Ihnen etwas in Bewegung zu bringen.

Herzlich
Annelie